Schülerinnen und Schüler brauchen eine starke Stimme

16.02.2023

Schule heute-Interview mit Theo Blaesse, Mitglied im Landesvorstand der Landesschüler*innenvertretung NRW

Schule heute 0223

Schule heute ist das Monatsmagazin des VBE NRW. Die komplette Ausgabe Februar erhalten Sie hier.


Schule heute: Was genau ist schulische Partizipation?

Theo Blaesse: Es bedeutet, dass wir als Verbände Entscheidungen im Schulkontext maßgeblich mitgestalten. Das gilt für die Erarbeitung von allen Änderungen und auch für das aktive Einbringen von neuen Ideen und Vorschlägen. Das beinhaltet zum Beispiel neue Lehrpläne, aber auch Regelungen zur Einstellung von Lehrkräften oder die Entscheidung zwischen G8 und G9.
Unserer Meinung nach sollte Partizipation aber viel umfassender geschehen, denn an vielen Stellen braucht es im undemokratischen System Schule Veränderungen. Ein mehrgliedriges Schulsystem und exkludierende Unterrichtsmethoden sind nicht mehr zeitgemäß. Ein erster Schritt in Richtung guter Partizipationsmöglichkeiten, zur Umsetzung von Forderungen, wäre ein Streikrecht für Schüler/-innen.

Sh: Wie wichtig ist die Schülervertretung, wie wichtig ist die Teilhabe der Schülerinnen und Schüler?

Blaesse: Die Schüler*innenvertretung (kurz: SV) ist ein enorm wichtiges Gremium, was viel mehr beteiligt werden sollte. Schüler*innen haben insgesamt noch deutlich zu wenig Rechte unddas sollte dringend geändert werden. Schüler*innen, die den größten Teil der Schule ausmachen, sollten in dieser mitbestimmen können. Schulen müssen demokratischer gestaltet werden! Dafür kämpfen wir als Landesschüler*innenvertretung Nordrhein-Westfalen (kurz: LSV NRW).
Auch die einzelne SV an der Schule ist sehr wichtig, um für die schon vorhandenen Rechte einzutreten, neue Rechte zu erkämpfen und politisch mitzugestalten. Lehrerinnen und Lehrer dürfen Schüler*innen nicht verbieten, auf die Toilette zu gehen, trotzdem passiert es an vielen Schulen täglich. Auch Kollektivstrafen sind bei einigen Lehrkräften ein gern genutztes Mittel, obwohl es klar verboten ist. In solchen Fällen braucht es eine starke Stimme auf der Seite der Schüler*innen, an die man sich wenden kann und die Schüler/-innen vertritt. Entsprechend sollten SV-Strukturen deutlich mehr Beachtung finden und besser gefördert werden.

Sh: Nehmen Sie die Partizipationschancen in Schule als vielfältig wahr? Wo besteht Verbesserungsbedarf?

Blaesse: Für einzelne Schülerinnen und Schüler gibt es kaum Partizipationsmöglichkeiten. Schule ist in den meisten Punkten nicht demokratisch gestaltet und so haben wir beispielsweise selten die Möglichkeit, den Unterricht zu beeinflussen oder selbstständig Lernmethoden auszuwählen.
Im SV Kontext gibt es viele Möglichkeiten, bei denen Partizipation im Kleinen möglich ist oder zumindest vorgespielt wird. Es gibt die Schulkonferenz, bei der Schüler/-innen ein Drittel der Mitglieder stellen, und auch Fachkonferenzen, an denen Schüler/-innen teilnehmen dürfen. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten halten sich bei diesen Gremien allerdings in Grenzen. Obwohl Schüler*innen in Schulen mit Abstand den größten Teil stellen, sind immer Kompromisse mit Eltern oder Lehrkräften notwendig. Als LSV finden wir das nicht demokratisch und entsprechend auch nicht gerecht. Auch in Fachkonferenzen haben Schülerinnen und Schüler nur eine beratende Funktion und können entsprechend nur Impulse geben, die aber auch ohne Probleme ignoriert werden können. Grundsätzlich hat jede SV das Recht auf einen Raum, um Besprechungen abzuhalten. Selbst das wird aber von vielen Schulen nicht gewährt und so wird SV Arbeit teilweise im Keim erstickt. Auf den höheren Ebenen sieht es leider nicht anders aus. Selbst wenn sich eine Bezirksschüler*innenvertretung einen Sitz im Schulausschuss erkämpft hat, bleibt es ein beratender Posten. Gegenüber Bürgermeister/-innen oder anderen Entscheidungsträgern haben SV-Strukturen kaum Einfluss und auch auf Landesebene ist es schwer, von der Politik gehört zu werden oder gar mitzubestimmen.
Es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Durch Demonstrationen oder Auftritte in der Presse kann man sich Gehör verschaffen und zusätzlichen Druck generieren. Je nach Schulleitung oder Bürgermeister/-in kann auch im direkten Gespräch viel erreicht werden. Grundsätzlich gilt aber: Die Möglichkeiten zur Partizipation hängen von dem Wohlwollen Anderer ab und
Schüler/-innen haben selbständig kaum feste Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Sh: Inwieweit können Schülerinnen und Schüler tatsächlich Einfluss auf die Planung und Ausgestaltung des Schullebens nehmen? Wie schätzen Schüler/-innen ihre Partizipationsmöglichkeiten selber ein?

Blaesse: Auch das hängt stark von den jeweiligen Schulen ab. Wenn die Schulleitung der SV weitestgehend freie Hand lässt und offen für Vorschläge ist, dann können Schülerinnen und Schüler sich an vielen Stellen beteiligen. Andersrum gibt es aber auch Fälle, in denen Schulleitungen keinerlei Verständnis für die Meinung der Schüler/-innen haben und das meiste verhindern. Über die Schulkonferenz bestehen dann teilweise trotzdem Möglichkeiten, zusammen mit Lehrkräften und Eltern Projekte zu beschließen, das sind aber deutlich zeitaufwendigere Methoden.
Auch der Unterricht läuft weitestgehend undemokratisch ab. Die Lehrkraft stellt sich nach vorne, gibt ein Thema vor und die Schüler/-innen gehorchen. Wenn wir demokratisches Verständnis vermitteln wollen und Schüler/-innen mündige Bürgerinnen und Bürger werden sollen, müssen wir dieses Konzept nochmal überdenken.

Sh: Welche Wünsche haben Sie mit Blick auf die Zukunft, Was müsste aus Ihrer Sicht auch aus Richtung der Politik noch kommen?

Blaesse: Schulen sollten demokratischer gestaltet werden. Schülerinnen und Schüler wollen sowohl an der Gestaltung von Schulen in Form von Umbau, Aktionen und anderen Vorgängen beteiligt werden, als auch im Unterricht mitbestimmen können. Von der Politik wünschen wir uns dahingehend ein Umdenken. SV-Strukturen sollten deutlich gestärkt werden und es sollen stärkere Partizipationsmöglichkeiten verankert werden. Erste Schritte wären hier z. B. ein Stimmrecht in Fachkonferenzen und mehr Stimmen in der Schulkonferenz für Schüler/-innen. Grundsätzlich gibt es im Schulsystem auch außerhalb von Partizipation viel Veränderungsbedarf. Wir müssen das mehrgliedrige Schulsystem überwinden und hin zu einem inklusiven Gesamtschulkonzept kommen. Wir müssen für Chancengleichheit sorgen, indem wir zum Beispiel einen geschlossenen Ganztag einführen, und wir müssen dafür sorgen, dass Schüler/-innen politisch gebildet werden. Ein Streikrecht für Schülerinnen und Schüler, um kräftig für diese Änderungen einstehen zu können, ist dafür sinnvoll. Wir sollten anfangen, Schüler/-innen nicht nur mit zu meinen, sondern uns bei Entscheidungen im Schulkontext klar auf sie fokussieren. Schulpolitik sollte mit statt über Schülerinnen und Schüler hinweg gemacht werden.

Sh: Vielen Dank für das Gespräch!

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