Schule heute Reportage: Rhythmisierter Ganztag
Unterrichts- und Betreuungszeiten werden hier flexibel gestaltet. Diese Form des Ganztages gibt es an vielen Schulstandorten in NRW. Diese Schule hält dieses Angebot allerdings für alle Schüler/-innen vor. Ein Beitrag von Melanie Kieslinger, Pressereferentin des VBE NRW:
„Die Verantwortung liegt hier auf mehreren Schultern – das ist eine enorme Entlastung für uns und wir profitieren von unseren unterschiedlichen Sichtweisen“, erklärt die Schulsozialarbeiterin der Gemeinschaftsgrundschule An den Linden in Kleve. Wir stehen auf einem Gang, der zu den Klassenräumen führt, die Schülerinnen und Schüler befinden sich im Unterricht oder gehen einem bestimmten Freizeitangebot nach.
An der GGS An den Linden gibt es seit dem Schuljahr 2018/2019 einen rhythmisierten Ganztag. „Das bedeutet, dass unsere SchülerInnen im Klassenverband den Schulalltag von 8:15 Uhr bis 15:00 bzw. 16:00 Uhr verbringen. Der Schulalltag besteht aus Unterrichts- und Freizeitangeboten, die sich über den Tag verteilt abwechseln und so immer wieder Entspannungsphasen ermöglichen“, berichtet mir der Schulleiter Jens Willmeroth. Auch nachmittags sei somit Unterrichtszeit möglich, ebenso könnten im Vormittagsbereich Freizeitangebote stattfinden. Zusätzlich finden AGs statt, die von außerschulischen Lernpartnern oder an außerschulischen Lernorten stattfinden können. Ich erfahre, dass rund 400 Kinder diese Schule besuchen, davon befinden sich 330 im Ganztag. „Das ist natürlich eine logistische Herausforderung“, so Willmeroth. „Und es erfordert ausreichend Personal. In Zeiten des Mangels versuchen wir, durch gezielte Ansprachen geeignete Leute zu finden, gerne auch Menschen mit Migrationshintergrund, was definitiv Sinn macht an einer Schule, an der 80 % der Kinder einen Migrationshintergrund haben.“
Multifunktionale Räume
Die nötigen Räumlichkeiten für diese Form der Zusammenarbeit an Schule sind vorhanden – das stelle ich auf unserem Rundgang durch das Schulgebäude fest. Es gibt einen Alt- und einen Neubau, helle, sehr detailliert durchdachte Räumlichkeiten, in denen gemeinsam gearbeitet und gelernt, entspannt und gespielt wird. Lernort und Lebensort greifen ineinander, die enge Verzahnung von OGS und Schule ist hier an jeder Ecke sichtbar. „Wir haben nicht mehr Raum, aber die Räume werden ganztägig genutzt. Wir brauchten kein extra Gebäude für ein Ganztagsangebot, sondern nur dieses Konzept des rhythmisierten Ganztags, bei dem die Räumlichkeiten sowohl für den Unterricht als auch für andere Aktivitäten genutzt werden. So haben wir ein ganzes Gebäude eingespart und diese Ersparnisse konnten wie wiederum in Personal investieren“, freut sich Willmeroth. Bei der Umgestaltung und dem Neubau waren Kollegium und Schulleitung stark eingebunden, konnten eigene Ideen einbringen und mit ihrem Konzept überzeugen. Eine tragende Rolle im Entwicklungsprozess spielt der Schulträger Stadt Kleve, der schnell den pädagogischen Mehrwert erkannt hatte, aber auch davon profitiert, dass weniger Schulraum errichtet werden und unterhalten werden muss. Die vorhandenen Räume an der GGS An den Linden werden multifunktional genutzt. An einen Klassenraum schließt sich immer ein Betreuungsraum an, der sowohl für kreatives Arbeiten genutzt werden kann, als auch die Möglichkeit bietet, mit einzelnen Schülerinnen und Schülern individuell zu arbeiten bzw. Lernzeiten zu integrieren, in denen Unterrichtsinhalte vertieft werden können und durch zusätzliche Aufgaben geübt und erweitert werden. Sie ersetzen die klassischen Hausaufgaben.
Die Räume sind durch mobile Trennwände unterteilt, wodurch sie beliebig gestaltet werden können. „Wenn z. B. eine Versammlung mit den Eltern ansteht, können wir die Trennwände einfach verschieben, sodass uns dann für den aktuellen Bedarf ein riesengroßer Raum zur Verfügung steht“, erläutert der Schulleiter.
Wir gehen durch die Schulbibliothek, die gerade von einer Klasse besucht wird. Die Atmosphäre ist entspannt, die Schülerinnen und Schüler haben es sich gemütlich gemacht auf einer der kindgerecht gestalteten Sitzmöglichkeiten in diesem Raum. „Sehen Sie diesen Jungen dort“, flüstert Willmeroth. „Ein hochgradig auffälliges Kind mit besonderem Förderbedarf. Hier kommt er runter, ist völlig vertieft und entspannt beim Anschauen seines Buches.“ Ich sehe den Jungen, der sich aus kleinen, aufgestellten Matten seine eigene „Höhle“ gebaut hat und ganz für sich gelassen wird in seiner Entspannungsphase. Insgesamt geht es ruhig zu in der Bibliothek, nur eine Lehrkraft und eine Erzieherin beantworten leise Fragen der Schülerinnen und Schüler. „Für eine Klasse ist neben der Klassenleitung auch eine pädagogische Fachkraft, eine Erzieherin hauptverantwortlich. Außerdem unterstützt eine pädagogische Ergänzungskraft das Team“, erklärt Willmeroth. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Vier Augen sehen einfach mehr als zwei. Die Kinder haben immer eine feste Bezugsperson und auch im Unterricht sind pädagogische Fachkräfte zum Großteil mit dabei, was einen guten Austausch über das Klassengeschehen und ein breit gefächertes Agieren im Unterricht ermöglicht.“
Teamarbeit für individuelle Förderung
Dies bestätigt mir auch die Leiterin des Ganztags an der GGS An den Linden Jacqueline Castelijns: „Wir können gemeinsam die Kinder dort abholen, wo sie stehen und haben trotz der üblichen Vorgaben die pädagogische Freiheit, Sachen selbst zu gestalten. Unsere Zuständigkeiten sind zwar klar definiert, dennoch ziehen wir an einem Strang bei der Gestaltung von Unterrichts- und Freizeiteinheiten und damit bei der individuellen Betreuung unserer Kinder.“ Auch bei der Zusammenarbeit mit den Eltern sei dieses Zusammenspiel verschiedener Professionen sehr hilfreich. „Als Erzieherin trete ich mich einem ganz anderen Anliegen an die Eltern heran. Und dass unsere Teamarbeit auch von Vorteil ist bei eventuellen Vertretungssituationen liegt natürlich auf der Hand“, so die Leiterin. „Natürlich ist es auch eine Herausforderung, denn bei einem größeren Team bedarf es auch immer intensiverer Absprachen.“
Diese sind immer am morgen vor dem Unterricht in einer freiwilligen Teamsitzung möglich. Dort kann der jeweilige Tag zusammen geplant und die Verknüpfung von Unterricht sowie Freizeitaktivitäten noch einmal konkretisiert werden.
„Wir haben viele Kooperationspartner, die uns ein breit gefächertes, kreatives, künstlerisches und sportliches Freizeitangebot ermöglichen“, informiert mich Willmeroth, während wir das Schulgebäude verlassen und die Turnhalle ansteuern. Ein Komplex, der mich wirklich beeindruckt. Ich fühle mich an den letzten Kindergeburtstag meiner Tochter erinnert, den wir im Kinderspieleparadies verbracht haben. Auch hier ist alles durchdacht, Kinder können auf verschiedenen Ebenen in ihrer Motorik gefördert und gefordert werden. Ich beobachte das Ankommen einer Schulklasse, die Kinder freuen sich auf die anstehende Bewegungsstunde. Bevor sie loslegen können, fragt der Sportlehrer („Einer unserer Seiteneinsteiger“, sagt Willmeroth) die nötigen Verhaltensregeln ab. Gegenüber befindet sich noch eine „klassische“ Turnhalle mit einer Sprossenwand, Basketballkorb und dicken Matten für Turnübungen.
Ein sinnvolles Konzept für viele Schulen
„Das Konzept des rhythmisierten Ganztags hat sich für uns als sehr tragfähig erwiesen. Nach der Umgestaltung mussten wir als Schule natürlich zusammenwachsen, ohne die Unterstützung ganz vieler Menschen wäre dies nicht möglich gewesen. Auch wir haben mit den bekannten Herausforderungen in den Bildungseinrichtungen zu kämpfen, können aber durch die enge Beziehungsarbeit mit allen an Schule beteiligten Konflikte gut auffangen. Im rhythmisierten Ganztag sind wir flexibel, wie wir mit bestimmten Situationen und Inhalten umgehen. Ich glaube, es ist wirklich ein sinnvolles Konzept, wir können mehr Chancengleichheit erreichen und Übergänge fließender gestalten. Natürlich immer gemeinsam und mithilfe vieler Schultern, die unser Schulleben mitgestalten“, fasst Jens Willmeroth abschließend zusammen.
Ich bedanke mich für diese umfassenden Einblicke und für einen Tag voller interessanter Eindrücke.
Text: Melanie Kieslinger, Schule heute
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